Expertinnen: Sexuelle Übergriffe von Trainern gibt es auch in der Oberpfalz

Ein Jugendtrainer aus dem Landkreis Tirschenreuth wird der sexuellen Übergriffe verdächtigt. Laut Polizei ist das eine Ausnahme in der Oberpfalz. Dem widerspricht nun die Weidener Beratungsstelle Dornrose. Was Eltern und Vereine tun können. Von Julian Trager

 

Wie ist der aktuelle Stand im Fall des Jugendtrainers?

"Derzeit gibt es keinen neuen Sachstand", erklärt die Oberpfälzer Polizei auf Nachfrage. Die Ermittlungen dauern an. Weitere geschädigte Kinder hätten sich bisher nicht gemeldet, wie anfangs durchaus befürchtet wurde.

Vor gut zwei Monaten hatten drei Spieler im Alter von 15 bis 18 Jahren Anzeige gegen den Trainer ihrer Vereinsmannschaft aus dem Landkreis Tirschenreuth erstattet. Die Spieler gaben an, von einem 24-Jährigen einzeln zur Übernachtung eingeladen und dann im Schlaf unsittlich berührt worden zu sein. Ein Polizeisprecher erklärte damals, dass solche Fälle in der Oberpfalz sehr selten vorkämen.

 

Ist es wirklich so, dass solche Fälle in der Oberpfalz selten sind?

Ilkay Gebhardt presst bei der Frage die Lippen zusammen, um dann deutlich zu verneinen. Solche Fälle kämen genauso oft auch in der Oberpfalz vor wie anderswo. "Auf jeden Fall", sagt die Leiterin von Dornrose, der Weidener Fach- und Beratungsstelle bei sexualisierter Gewalt. Gebhardt zitiert aus einer bundesweiten Studie, nach der ein Drittel der befragten Kadersportler schon einmal eine Form von sexualisierter Gewalt im Sport erlebt hat. Im Leistungssport sei das demnach genauso präsent wie in der Allgemeinbevölkerung, sprich: auch in Vereinen. "Warum sollte das in der Oberpfalz anders sein?", meint Dornrose-Beraterin Angela Frank, die mit Gebhardt und Kollegin Juliane Mahler das Gespräch mit Oberpfalz-Medien gesucht hat. "Es ist uns wichtig, das klarzustellen", sagt Frank und meint die damalige Polizei-Aussage. "Wir haben ein paar Bedenken, was für Folgen das haben kann", erklärt Mahler.

 

Betroffene Kinder und Jugendliche könnten sich deswegen eher verschließen, weil sie das Gefühl haben, eine Ausnahme zu sein. Eltern könnten sich zu sehr in "Sicherheit wiegen", weil es solche Übergriffe ja angeblich nicht gebe. Und Vereine könnten sich aus der Verantwortung ziehen. "Aber sexuelle Übergriffe von Jugendtrainer gibt es auch bei uns", sagt Sozialpädagogin Frank. Eine genaue Statistik dazu gebe es allerdings nicht.

 

Warum werden Trainer zu Tätern?

"Täter suchen sich genau dieses Umfeld aus", erklärt Gebhardt. Wo sind Kinder unterwegs? Wo gibt es ein Vertrauensverhältnis? Wo kann man Druck auf jemanden ausüben? Sport sei ein "gutes" Medium, um Körperkontakt mit Kindern zu bekommen, um viel und nah mit Kindern beisammen zu sein, so die Dornrose-Leiterin. "Von 100 Sportvereinen gibt es in 30 einen sexuellen Übergriff", schätzt Gebhardt. Das müsse nicht immer schwerer Missbrauch sein. Es gehe auch oft darum, "einfach diese Neigung - Körperkontakt zu Kindern - auszuleben und Grenzen zu überschreiten".

 

Was können Vereine tun?

Jeder Verein sollte ein Schutzkonzept haben, sind sich die Dornrose-Expertinnen einig. Das heißt, durch ein Konzept einen sicheren Raum für Kinder schaffen. Es sollte Ansprechpartner geben, alle Trainer sollten geschult werden. Wenn neue Trainer kommen, sollte im Vertrag klar festgelegt werden, dass sexualisierte Übergriffe im Verein nicht toleriert werden. Das helfe. "In Vereinen mit einem Schutzkonzept finden weniger Übergriffe statt als in Vereinen ohne Konzept", sagt Gebhardt. "Allein, wenn das Thema in den Verein getragen wird, ist das ein Schutz." Wenn Täter wissen, dass es in einem Verein ein solches Konzept gibt, seien sie dort viel vorsichtiger. Allerdings hätten bisher nur wenige Vereine ein solches Schutzkonzept. Der SC Kirchenthumbach (Landkreis Neustadt/WN) sei eine der wenigen Ausnahmen in der Region.

 

Was können Eltern tun?

Eltern können bei den Vereinen nachfragen, ob es ein Schutzkonzept gegen sexualisierte Gewalt im Verein gibt. "Ganz wichtig ist, aus dem Thema kein Tabu zu machen", sagt Sozialpädagogin Mahler. Es ist grundsätzlich gut, mit den Kindern darüber zu sprechen, meint Gebhardt. Das sei aber auch eine Gratwanderung zwischen Angstmacherei und Prävention. Es komme immer darauf an, wie man das macht.

 

Was tun, wenn im Verein Gerüchte aufkommen?

Erstmal mit den betroffenen Jugendlichen reden, die Eltern informieren, empfiehlt Gebhardt. Und: "Man kann jederzeit mit uns in Kontakt treten." Auch anonym. Zu schnelles Handeln überfordere die Jugendlichen oft, die sich dann zurückzögen. "Keine überstürzten Entscheidungen treffen", erklärt Mahler. "Wir sehen es leider häufiger, dass eine Anzeige gestellt wird, obwohl das die betroffenen Personen gar nicht möchten."

 

Was sind Anzeichen, dass etwas bei Kindern oder Jugendlichen nicht stimmt?

Pauschal kann man das nicht sagen, erklärt Mahler. Die Reaktionen auf Übergriffe seien sehr unterschiedlich. Manche ziehen sich stärker zurück, manche werden aggressiv, manche verringern die Distanz zu ihren Mitmenschen, manche erhöhen sie. Manche wollen nicht mehr zum Sport. "Wenn Eltern das Gefühl haben, irgendetwas sei komisch, ist das das stärkste Anzeichen", sagt Gebhardt. Es muss dann zwar nicht zwingend sexueller Missbrauch sein, aber meistens stimme dann eben etwas wirklich nicht.

 

Was sollten Eltern tun, wenn der Trainer das Kind zum Übernachten einlädt?

Auch das sei schwierig zu beantworten, erklärt Gebhardt. Einerseits könne man nicht jedem unterstellen, übergriffig zu werden. Andererseits möchte man sein Kind schützen. Ist das Kind unter 14, sollte eine solche Übernachtung "überhaupt nicht infrage kommen", so Gebhardt, die selber Mutter ist. "Bei Jugendlichen über 14 würde ich mit ihnen vorher sprechen." Dass es Menschen gibt, die sexuell übergriffig werden. Dass er sich melden soll, wenn etwas geschieht. Dass er aber keine Angst haben muss. Denn: "Den Jungen daheim einsperren, ist auch schwer."

Es gebe aber auch Jugendliche, die das alles gewusst haben, die vorbereitet gewesen sind, bei denen es aber dann trotzdem geschehen ist. "Der Druck ist in solchen Situationen so hoch, dass der Körper erstarrt", erklärt die Leiterin von Dornrose. "Man kann sexuellen Missbrauch nicht vermeiden, nur das Risiko verringern." Es gebe keinen Missbrauch aus Zufall. "Die Täter wissen sehr genau, was sie tun", sagt Gebhardt.

 

Gibt Anzeichen bei Trainern, dass da etwas nicht stimmt?

"Nein, es gibt keine Anzeichen, leider nicht", so Gebhardt. "Es gibt Super-Trainer, die den Kindern auf die Schulter klopfen, weil sie ein Super-Verhältnis mit ihnen haben. Und dann gibt es die Trainer, die den Kindern auf die Schulter klopfen und dann halt weitermachen." Das mache es schwierig für alle Trainer oder auch Erzieher. Darf man ein Kind noch berühren? Darf man ein Kind noch auf den Schoß setzen? "Da geht auch eine Natürlichkeit verloren, weil hinter jeder Bewegung die Angst steckt, etwas falsch zu machen", meint Gebhardt. "Das ist sehr schade."